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Wenn die Sozialen Medien ins Asoziale kippen …

von Esther Hürlimann

Die Hassrede im Internet boomt. Rund 80 Prozent aller Nutzerinnen und Nutzer sind gemäss einer deutschen Medienstudie direkt oder indirekt schon einmal mit Hasskommentaren, Diskriminierungen, Sexismus oder Rassismus konfrontiert worden. Betroffen sind nebst öffentlich exponierten Personen wie Politikerinnen und Politiker vor allem gesellschaftlich Schwächere wie Menschen mit Behinderung, Migrantinnen oder Migranten sowie auch Frauen. Das Phänomen zu erklären ist genauso vielschichtig wie die Frage nach geeigneten Gegenmitteln, das haben zwei öffentliche Veranstaltungen gezeigt, die kürzlich an der Universität Zürich stattgefunden haben.

Wer schon einmal von einem Shitstorm betroffen war, weiss, wie sich dadurch das Leben von einem Tag auf den anderen verändern kann. Plötzlich prasseln Beschimpfungen, Beleidigungen, ja sogar Bedrohungen oder persönliche Angriffe von unbekannter Seite über die Betroffenen herein. Oft ist der Auslöser eine Bagatelle oder ein ungeklärtes Ereignis. Doch jenen, die austeilen, geht es nicht in erster Linie darum, der Wahrheit auf den Grund zu gehen oder sich mit der eigenen Meinung konstruktiv zu engagieren, sondern einzig und allein darum, der eigenen Wut freien Lauf zu lassen und sich bei der eigenen Community zu brüsten. Der typische Wutbürger ist politisch eher konservativ, lebt in einer ländlichen Region und gehört der älteren Generation an. Für ihn sind die Kommentarspalten der Online-Zeitungen und Sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter eine neue Form des Stammtischs, wo man Dampf ablassen und bei den Kollegen Stimmung machen kann.

Doch was viele, die am virtuellen Stammtisch austeilen, immer noch nicht wissen: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Auch hier macht sich straffällig, wer in den sozialen Medien persönlichkeitsverletzende oder rassistische Kommentare schreibt. Aufklärung tut auf jeden Fall Not – sei es im Rahmen von Medienerziehung bei der jüngeren Generation, aber auch von Aufklärungsarbeit bei der älteren Generation. Leider fehlt es noch immer an staatlichen Institutionen, die sich dem Thema professionell annehmen und sowohl in der Prävention wie auch in der Opferhilfe Unterstützung leisten. In die Lücke springen derzeit private Initiativen wie der Verein #netzcourage, der Betroffenen bei der Hetze im Netz hilft.

Und wie können sich von Hassrede Betroffene wehren? In erster Linie juristisch, wobei es hilfreich ist, den persönlichkeitsverletzenden Kommentar sofort vom Bildschirm abzufotografieren, bevor er vom Urheber gelöscht wird. Ein weiteres Mittel ist die Gegenrede, wobei diese sich nur für darin geübte und nervlich robuste Gemüter eignet. Denn wer sich wehrt, widersetzt sich der eigentlichen Absicht des Aggressors: sein Opfer zum Schweigen zu bringen. Hate-Speech ist sehr häufig nämlich eine Form des «Silencings» – also des Bestrebens, jemanden mundtot zu machen. Wer also zum Counterspeech ansetzt, muss das sehr clever tun, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu giessen.

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