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«Auch ein Dirigent hat nur zwei Hände.»

von Reto Wilhelm

Er hat unzählige internationale Orchester dirigiert und mit Solisten wie Lang Lang oder Anna Netrebko gearbeitet. Und er war über 18 Jahre lang Mitglied der Münchner Philharmoniker: Christian Gansch. Heute tourt der erfahrene Maestro auch als Berater durch die Management-Etagen. Ich begegnete ihm kürzlich an der Jahrestagung der Romantik Hotels & Restaurants. Sein Credo: Ein Dirigent allein macht noch lange kein Team.

Bis zu 15 Instrumentengruppen finden sich in einem typischen Sinfonieorchester. Diese sind allesamt Spezialisten und bilden als solche im Unternehmerjargon eine «Abteilung». Pro Abteilung gibt es wiederum zwei bis drei AbteilungsleiterInnen. Die Production Services ihrerseits schleppen auf Tourneen der Wiener Philharmoniker rund 30 Tonnen Kulissen mit – eine logistische Meisterleistung. Musikerinnen und Musiker aus 18 Nationen sind in diesem Spitzenorchester an der Donau am Werk und spielen unter der kundigen Leitung des Dirigenten in trautem Einklang Wiener Walzer, als ob sie alle die Musik von Strauss im Blut hätten…

Doch ein Dirigent hat auch nur zwei Hände. «Ich brauche selbstverantwortliche Führungskräfte im Orchester. Denn das Wechselspiel zwischen den heterogenen Positionen muss funktionieren. Ohne meine Leute kann ich gar nichts machen», bringt es Christian Gansch auf den Punkt. «Der Dreiklang von Handwerk, Exzellenz und Disziplin ist das A und O. Ein Dirigent muss 40 Instrumente zu einem homogenen Organismus formen können.»

Wichtig zu wissen: Ein grosses philharmonisches Orchester verfügt über kein Echtzeit-Wahrnehmungssystem. Es braucht also förmlich einen Stab, der ihnen den Weg durch den Notendschungel weist – sprich: den Takt vorgibt. Vor 200 Jahren hat sich deshalb die Dirigentenkultur entwickelt. Quasi aus der Not heraus, weil sich die Damen und Herren Musiker in der Fülle der Töne nicht mehr selbst hören konnten.

Für einen schönen Gesamtklang braucht es folgendes orchestrales Credo: aufeinander hören, Vertrauen aufbauen, sich wechselseitig unterstützen. Das will geübt sein. Ist das Orchester auf Tournee, wird deshalb täglich vier Stunden geprobt. Denn jeder Saal hat seinen eigenen Klang, den es zu finden gilt.

Karajan sagte einst, ein Dirigent müsse wissen, wann er sein Orchester nicht stören dürfe. Er müsse Freiräume schaffen, dirigieren heisse folglich, zuhören können. «Führen heisst, den Kopf hinhalten. Und stets vorauszugehen. Der Trompeter atmet dann, wenn es nötig ist. Nicht dann, wenn es ihm der Dirigent erlaubt», sagt Gansch. «Und wenn Sie Probleme mit Ihren Leuten haben, dann schauen Sie zuerst in den Spiegel. Anders gesagt: Es braucht mehr Vorbild als Leitbild.»

In einem Orchester – wie auch sonst in Unternehmen – treten grosse und kleine Rollen nebeneinander auf. «Im Gesamtkontext betrachtet gibt es keine unwichtigen Aufgaben. Wenn der Triangel zu stark geschlagen wird, dann schauen alle in seine Richtung. Der Triangelspieler braucht also ein schlüssiges Warum – eine Selbstmotivation also», konstatiert Gansch.

Zu guter Letzt: Spitzenorchester lernen laut Christian Gansch tagtäglich dazu. Nach jedem Konzert besprechen alle Orchestermitglieder gemeinsam die 400 bis 500 kleinen Fehler, die ihnen unterlaufen sind. «Feedback muss sofort stattfinden. Und: Ein Team soll man nicht überloben – sondern motivieren. Also nicht: ‘War unglaublich gut’. Sondern: ‘Hätte schlimmer sein können’.»

Hinsehen und weiterlesen:

Christian Gansch in Aktion (Trailer-Vortrag): YouTube

Christian Gansch: Vom Solo zur Sinfonie – was Unternehmen von Orchestern lernen können, Campus Verlag 2014

Christian Gansch: Der Dreiklang der Führungskompetenz: Wahrnehmen – Entscheiden – Handeln, Campus Verlag (Wiederauflage)

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