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Fugging – Muster- oder Sündenfall?

von Reto Wilhelm

Da gibt’s doch glattweg einen Ort in Oberösterreich, der sich – wegen eines scheinbar obszönen Namens – umbenennt. Da wirft also eine Gemeinde ihre semantische Vergangenheit ab, indem sie sich sprachlich ein neues Mäntelchen umhängt. Schon ein wenig bizarr, wie ich finde. Denn immer schon haben mich die Wurzeln von Wortbedeutungen interessiert. Statt unseren Sprachforschergeist anzuregen und durchaus auch über Sprache zu schmunzeln und zu staunen, sind nun die Puristen und Reiniger unterwegs. Nur nichts Anstössiges, nur nichts Heikles, auf keinen Fall provozieren – und schon gar nicht auf Ortstafeln.

So bedeutet ja eben Arschwald nicht das, was wir heute daraus lesen. Arschwald im Glarnerland war nämlich nichts anders als jener Ort, wo Bäume zu Kohle gemacht wurden: eben ein Wald, der in Asche gelegt wurde, Brandrodung also. Der Wortursprung: das lateinische «arsus», die Asche. Arschwald ist übrigens gar nicht am Ende der Welt, sondern ein herziger Weiler, nur eine knappe Fahrstunde von Zürich weg oberhalb von Näfels (zugehörig zur vor zehn Jahren neu benannten Gemeinde Glarus Nord). Auch Bitsch im Wallis hat nichts mit dem neudeutschen «Bitch» am Hut. Und in Witzwil wird sicherlich viel gelacht, aber nicht immer. In Löli hat’s sicher solche, aber nicht ausschliesslich. In Seelisberg wird man seelig, alleine schon des herrlichen Blicks auf den Urnersee wegen, aber nicht nur. Auch in Au schreien und brüllen Menschen nicht dauernd vor Schmerz. Und schon gar nicht dreht sich in Ei alles um das rohe oder gekochte Naturprodukt.

Nomen est omen, heisst es da so schön in einer geflügelten lateinischen Redensart. Der Name ist die Essenz. Er sagt viel aus: über die DNA eines Orts, seine Lage, seine historische Besonderheiten, seinen Ursprung, seine natürlichen Ressourcen und vieles mehr. Oft sind vermeintlich anrüchige Ortsnamen nämlich nichts anderes als Flurnamen. Oder bezeichnen eine historische Begebenheit. Sie wären also – genau betrachtet – eine ideale Gelegenheit, mehr über uns und unsere Herkunft zu erfahren.

Viel Energie und Forschergeist haben wir schon vor vier Jahren investiert: in ein kleines Büchlein namens «Ausfahrt Arschwald – Das etwas andere Schweizer Ortsverzeichnis». Dieses erklärt auf witzige Weise, wieso Ortsnamen in der Schweiz so vielsagend und mehrdeutig sind wie vielenorts anderswo übrigens auch. Da muss man gar nicht weit reisen, schon gar nicht bis Fucking, das nun Fugging heisst. Vielmehr müsste man vermutlich einfach mal zum Bedeutungswörterbuch greifen oder Sprachwissenschafter fragen – statt dem guten Sprachgeschmack von einigen übervorsichtigen Gutmenschen zu folgen und voreilig eine ganze Ortsgeschichte zu entsorgen.

So ganz sicher bin ich mir nämlich nicht, ob wir uns da nicht verfahren haben – mit dieser grossen Bereinigungsaktion in unserem Ortstafelwald, vor lauter gut gemeinter Über-Korrektheit. Mein Motto lautet deshalb: Nächste Ausfahrt «Arschwald».

Aus der Feder von Panta Rhei PR:


«Nächste Ausfahrt Arschwald – Das etwas andere Schweizer Ortsverzeichnis»
Orell Füssli, Zürich 2016, ISBN 978-3-280-05625-7

Mehr Publishing von Panta Rhei PR

Weiterlesen im Blätterwald zum Thema Fugging (i.e. Fucking):


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