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Krisenbedingter Blindflug: Wohin führt die Reise?

von Daniel Zinnenlauf

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Das geflügelte Wort trifft auf das Jahr 2020 besonders zu. Am 9. Januar 2020 sehen in der Neuen Zürcher Zeitung noch vier Finanzexperten unabhängig voneinander Silberstreifen am konjunkturellen Horizont. Am Tag darauf wird in der NZZ erstmals von einem neuartigen Coronavirus die Rede sein. «Das Rätsel um eine mysteriöse Epidemie in China ist gelöst», lautet der Titel des knapp halbseitigen Beitrags in der Printausgabe. Das Szenario einer globalen Pandemie scheint damals ausserhalb von Expertenkreisen mehr Fiction als Science.

Lock down oder open up?

Gut zehn Monate später herrscht in Ostasien wieder nahezu Normalität mit Events wie der Taiwan Pride 2020. 130’000 Teilnehmende feiern Ende Oktober auf Taipehs Strassen Diversity. Europa, fest im Griff der zweiten Welle, reibt sich derweil die Augen. Medienmitteilungen zu Impfstoffen sorgen für Hoffnung und Kurssprünge an den Börsen. Kehrt schon bald wieder die vorpandemische Normalität zurück oder wird der Ausnahmezustand über Jahre zur neuen Normalität?

Das breite Spektrum an möglichen kurz- und mittelfristigen Szenarien und das Fehlen historischer Vergleichswerte erschweren Prognosen – besonders für unmittelbar vom Pandemieverlauf betroffene Branchen wie den Tourismus. Klettern die Tourismus-Zahlen je wieder auf die Werte von 2019? Ja, sagt eine McKinsey-Studie von Ende Oktober 2020. Mit einer vollständigen Erholung des globalen Tourismus sei bis ins Jahr 2023 oder 2024 zu rechnen. Dabei dürfte es mit dem Binnentourismus schneller aufwärts gehen als mit dem interkontinentalen.

Heimvorteil versus Fernweh

Destinationen, die bei einem auf dem Landweg anreisenden Publikum ziehen, würden die Krise schneller überwinden, prognostizieren die Studienautoren – sofern denn die binnenwirtschaftliche Entwicklung generell mitziehe. Ein sicherer Reiserahmen mit gutem Versicherungsschutz, einer guten Gesundheitsversorgung vor Ort sowie überzeugende Argumente für ansteckungsfreies Fliegen würden den Aufschwung beflügeln – wobei die Studie berücksichtigt, dass auch das gestiegene ökologische Bewusstsein das Reiseverhalten der Post-COVID-19-Ära beeinflussen dürfte. Bis wann sich der nationale Tourismus anhand dieser Faktoren erholen könnte, veranschaulicht McKinsey in der Prognose für zehn ausgewählte Länder.

Vielleicht aber beschert eine Impfung und das aufgestaute Fernweh der Langstrecke einen unerwartet frühen Frühling? Vielleicht geht die Reise schon morgen ganz woanders hin, als man heute denkt.

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