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Ma che? In Italien liegt vieles auf der Hand — auch in Sachen Wermut

von Nina Rafaniello

«Una parola e troppo, e due sono poche.» Mit diesem Satz aus der italienischen Erfolgsserie «Un medico in famiglia» drückt der Protagonist Nonno Libero unmissverständlich aus, dass Worte nicht immer weiterhelfen: Je nach Situation rollt er dabei mit den Augen, wirft die Hände in die Luft oder zuckt mit den Schultern. Und alle wissen sogleich, ob er innerlich kocht, verzweifelt oder tatsächlich mal nichts mehr zum Familienwahnsinn/-glück hinzuzufügen hat.

Mit kleinen Gesten viel zu sagen, diese Kunst verstehen Italiener weltmeisterlich – oder genau genommen: die Neapolitaner. Von der Armut getrieben zogen sie gegen Norden und verbreiteten neben der einzig wahren Pizza auch viele ihrer alten Gesten. Heute begegnen einem diese in ganz Italien, ja sogar in der ganzen Welt. Sie alle richtig zu deuten ist nicht immer einfach. So können die «Hörner» einerseits auf Untreue in der Partnerschaft anspielen, andererseits beschwörend das Böse ableiten und von einem fernhalten. Der Unterschied ist subtil: Mal zeigen der ausgestreckte Zeigefinger und kleine Finger gleichzeitig ausgestreckt nach oben, mal nach unten.

Gesten richtig übersetzen
In den 50er Jahren fotografierte der Mailänder Grafiker und Künstler Bruno Munari die vielen verschiedenen Formen des Sprechens mit Händen und Mimik. Auf Italienisch, Englisch, Französisch und Deutsch erklärt er Uneingeweihten, was die einzelnen Gesten bedeuten. Aus der Sammlung entstand der «Anhang zum italienischen Wörterbuch». Ein zeitloses, wertvolles Fundstück ist dieses Büchlein und ein Tipp, der allen Freunden der italienischen Sprache ans Herz gelegt sei. Jene, die sich schon gefragt haben, was manch seltsamer Fingerzeig bedeutet, finden hier die Antwort und alle anderen, welche die Geste schon längst unbewusst übernommen haben, erfahren, was genau dahinter steckt.

Frühes Beispiel von Content Marketing
Das Büchlein verrät auch, wie man wortlos einen Wermut oder den berühmten «Punt e mes» bestellt: Mit einer Hand erhebt man den Daumen, um «uno» anzuzeigen, mit der anderen Hand durchschneidet man horizontal die Luft, um «mezzo» anzudeuten. War die Geste tatsächlich so verbreitet oder nahm sie Munari rein zufällig auf? «Ma che!» Den Auftrag für die erste Auflage von 1958 erteilte notabene die Firma Carpano aus Torino, gegründet von Antonio Benedetto Carpano, Erfinder des Wermuts und Produzent von «Punt e mes».

Einziger Wermutstropfen: obszöne oder vulgäre Gesten lässt das Büchlein bewusst aus.

Supplementi

  • Munari, Bruno. (1963): Supplemento al dizionario italiano. 18. Auflage: Mantova: Corraini Editore. ISBN 978 88 86250 91 7

Erhältlich etwa bei Never Stop Reading, Spiegelgasse 18 / Untere Zäune, 8001 Zürich.

«Un medico in famiglia» lief über 18 Jahre hinweg sonntags in der Primetime auf Rai 1 und begeisterte Jung und Alt. Von 1998 bis 2016 blieb der Hauptcast praktisch unverändert und viele italienischen Kinder wuchsen gemeinsam mit den Seriesprösslingen Maria, Annuccia und Ciccio auf.

Wermut ist heute wieder hip und wird in immer mehr Bars angepriesen, z.B. hier: WERMUT BAR, Neugasse 63, 8005 Zürich.

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