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Die TV-Show, die auch ein Dorffest ist

von Werner Kälin

Der Sommer 2020 kommt in vielerlei Hinsicht anders daher. Auch das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) musste sich für seinen beliebten «Donnschtig-Jass» eine Alternative überlegen. Eine Alternative zu den Live-Shows, bei denen jeweils zwei Dörfer im Derby ausjassen, wo die nächste Sendung – und damit auch das nächste Dorffest – stattfindet.

Während das Fernsehen 2020 kurzum anstelle einer Tournee auf das Freilichtmuseum Ballenberg wechselte, gastierte es 2015 unter anderem in Elm. 2014 zeichnete SRF das Pendant zur Live-Show, den «Samschtig-Jass», im Güterschuppen Glarus auf. Die beiden Projekte setzte Panta Rhei PR gemeinsam mit den SRF-Experten und lokalen Partnern um.

Anlässlich des letzten «Donnschtig-Jass» dieses Sommers am 13. August 2020 – mit ein bisschen Wehmut, aber voller guter Erinnerungen – fragen wir bei zwei Glarner Beteiligten von damals nach und spüren den Puls von heute.

3 Fragen an Mathias Vögeli, Gemeindepräsident Glarus Süd

Woran erinnern Sie sich als Erstes, wenn Sie an den Donnschtig-Jass 2015 zurückdenken – und woran als Zweites?

Als Erstes erinnere ich mich an die Ausscheidung gegen die Gemeinde Glarus in Leukerbad VS. Es war ein Highlight, dass wir diese Ausscheidung gewinnen konnten. Als Zweites kommt mir die Organisation der Durchführung in Elm in den Sinn. Wir wollten ein tolles Fest mit bleibender Erinnerung auf die Beine stellen und das ist uns gelungen. Das Wetter hat sich auch von der besten Seite gezeigt.

Mit dem Donnschtig-Jass 2015 war an einem Tag viel los in Elm. 2020 sind alle Chilbis abgesagt – wie steht es um die Dorfkultur in Glarus Süd?

Bis zum Lockdown stand es sehr gut um die Dorfkultur. Ich habe immer gesagt, dass die Vereine in unseren Dörfern eine sehr wichtige Rolle spielen, um in unserer Gemeinde den sozialen Zusammenhalt und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu erhalten und zu fördern. Seit dem Lockdown ist es sehr schwierig, das Ganze wieder anzukurbeln. Das bestätigen mir auch viele Vereinsverantwortliche. Ohne Anlässe ist es schwierig die Leute zu motivieren, sich wieder zu engagieren und zu proben. Das hat man auch an der 1.-August-Feier in Schwanden gesehen. Viele Zuschauer*innen und Zuhörer*innen getrauten sich nicht so recht. Die Teilnehmerzahl war eher gering. Übrigens war diese Feier für die Harmoniemusik Schwanden der erste Auftritt in diesem Jahr.

Glarus Süd umfasst 17 Dörfer – im kleinsten wohnen gut 150 Menschen. Welche Rolle spielt die anstehende Nutzungsplanung für die künftige Dorfkultur, also die Identifikation der Menschen mit der Gemeinde?

Ich sehe keinen direkten Zusammenhang zwischen Dorfkultur und Nutzungsplanung. Die Identifikation wird sich nicht verändern. War man bisher mit dem Dorf verbunden, so wird das auch in Zukunft so sein. Mir macht aber die zunehmend fehlende Bereitschaft, sich für Milizarbeit in Vereinen und Institutionen zu engagieren, Sorgen. Aber das ist ein gesellschaftliches Problem, verbunden mit Stress und Druck am Arbeitsplatz.

3 Fragen an Mathias Zopfi, Präsident Jassclub Tödi

Wie haben Sie die Zusammenarbeit zwischen den TV-Experten, der Agentur und den lokalen Verantwortlichen bei den Jass-Sendungen in Erinnerung – was ist geblieben?

Es war alles sehr unkompliziert und alle waren motiviert, einen tollen Anlass auf die Beine zu stellen. Obwohl die Sendung hochprofessionell ist, war es stets auch gemütlich.

Der Jassclub Tödi musste die Glarner Jass-Meisterschaft auf Oktober verschieben – welche Bedeutung hat sie für die Dorfkultur im Kanton Glarus?

Die Glarner Jassmeisterschaft ist mittlerweile ein etablierter Anlass. Seit 2007 hat sie jedes Jahr stattgefunden. Dieses Jahr wird es wohl eine stark reduzierte Ausgabe sein. Da die Jassmeisterschaft im ganzen Kanton verteilt durchgeführt wird, ist sie für viele Dörfer eine fest eingeplante Veranstaltung. Wir nehmen mit den Daten in den Dörfern Rücksicht auf die Turner*innen, die Musikant*innen usw. und sie kommen dafür an unsere Meisterschaft. Runden wie in Engi, Schwanden oder Linthal werden sehr stark von den Leuten aus den jeweiligen Dörfern besucht. Das freut uns natürlich. Auch wenn viele von ausserhalb kommen, ist es schliesslich die Glarner Jassmeisterschaft.

Sie sitzen im Gemeinderat, im Landrat und im Ständerat. Welchen Stellenwert hat für Sie eine lebendige Dorfkultur – wodurch zeichnet sie sich in Zukunft aus?

Unser Leben spielt sich im Treffen mit Freunden, in Vereinen, in unserem Umfeld und somit auch in unseren Dörfern ab. Auch in Bern merke ich, dass eine solche Verankerung wichtig ist. Auch, weil die Schweiz kein Zentralstaat ist. Eine lebendige Dorfkultur beeinflusst die Art, wie wir miteinander umgehen und ermöglicht den Austausch und die Integration. Das ist enorm wichtig. Im Glauben, dass sie sich in Zukunft noch mehr dadurch auszeichnen wird, verschiedene Menschen zu integrieren, anstatt exklusive Gruppen zu bilden und andere auszuschliessen. Im Dorf soll jede*r dazugehören, egal, wie sie oder er tickt und woher sie oder er kommt, weil man sich kennt und zusammen etwas auf die Beine stellt.

Dorfkultur auf dem Prüfstand

Man kann vom «Donnschtig-Jass» halten was man will: Er verbindet aber seit 35 Jahren erfolgreich eine TV-Show mit einem Dorffest. Auch von Fasnacht und Chilbi kann man halten was man will: Sie gehören aber landauf, landab zum festen Bestandteil des Veranstaltungskalenders. Beide Traditionen fallen 2020 vielerorts aus. Den Open-Airs geht es gleich. Die Open-Air-Festival-Kultur zählt übrigens wie das Jassen zu den lebendigen Traditionen der Schweiz.

Was bleibt, wenn der Chor kein Konzert oder der Turnverein kein Kränzli aufführt, die Gemeindeversammlung und das Stadtopenair verschoben sind – wie lebendig ist die Dorfkultur im Alltag? William Fuhrer von Dencity schreibt in seinem Artikel vom 15. Mai 2020 über die wachsende Bedeutung des unmittelbaren Wohnumfelds: Räume und Freiräume sollten menschliche Bedürfnisse wie Behaglichkeit und Aufenthaltsqualität erfüllen. Zudem geht es um Angebote in Gehdistanz. Sind Lebensmittelgeschäfte, Sport- und Bildungseinrichtungen, Freizeit- und Erholungsangebote wie Restaurants und Sitzbänke vorhanden, stärken sie das Quartierleben und Nachbarschaften.

Weil zur Lebendigkeit Menschen gehören, sind es auch Menschen, die ihr Wohnumfeld gestalten. Dazu braucht es nebst der Möglichkeit zur Partizipation auch die Motivation für ein Engagement – also Freude und Anerkennung. Nebst Abstimmungen, Gemeindeversammlungen oder Baubewilligungsverfahren sind auch neue Formen gefragt. Vereine sind es gewohnt, gemeinsam zu gestalten. Dieses Potenzial ist vielerorts vorhanden, liegt aber wegen Einschränkungen im Veranstaltungsbereich brach. Dieses Potenzial zu nutzen und gleichzeitig andere Menschen, zum Beispiel die junge Generation, mit neuen Formen der Partizipation zu motivieren, kann eine der Chancen dieser Zeit sein.

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